Nach zwei Saisonen und über 26.000km habe ich viel Erfahrung mit meiner KTM Adventure 790R gesammelt. Nach Fahrwerkstest und Fahreigenschaften, Motor und Bremsen im Offroadtest und on the road Test jetzt meine Meinung zu den Assistenzsystemen. Die 790er hat sehr viel Elektronik mit an Bord. Lässt man alles freischalten, hat man Traktionskontrolle (MTC), Kurven- Offroad- ABS, einstellbare Traktionskontrolle, verschiedene Fahrmodi und Gasannahmen, Tempomat, Quickshifter und Motorschleppmomentregelung (MSR) an Board. Uff! Braucht man das wirklich alles? Gehts nicht auch ohne, oder zumindest mit weniger? Ja, wie die Yamaha Tenere 700 beweist, die lediglich ein einfaches ABS hat, wie es der Gesetzgeber vorschreibt. Bevor man die viele Elektronik verteufelt sollte man sich mit dem möglichen Nutzen auseinandersetzten und dann entscheiden ob man die Einfachheit einer Tenere oder die Performance einer KTM bevorzugt.
Sicherheitsrelevante Elektronik – ABS und MTC
ABS ist bei Motorrädern verpflichtend. KTM ist hier top. Das verbaute Kurven ABS regelt schräglagenabhängig, ein echtes Sicherheitsplus auf der Straße! Hat man im Gelände das Offroad ABS aktiviert, regelt das Antiblockiersystem nur am Vorderrad, das Hinterrad kann blockieren. Perfekt für den Offroadeinsteiger, aber auch für den Profi am Limit ein Sicherheitsgewinn.
Die Traktionskontrolle (MTC) ist je nach gewählten Fahrmodi mit mehr oder weniger Schlupf hinterlegt. Ebenso mit einer weicheren oder schnelleren Gasannahme. So fährt man mit „Street“, „Offroad“ oder „Rain“ in einer von KTM perfekt vorkonfigurierten Einstellung. Auch wer sich gar nicht mit der Elektronik auseinandersetzt und einfach immer mit „Street“ fährt, hat durch Traktionskontrolle und Kurven ABS echte Sicherheitsfeatures mit dabei. Optional kann man (aber muss nicht unbedingt) bei Regen und Offroad den entsprechenden Modus wählen. Soweit auch für Technikverweigerer geeignet!
Elektronik für mehr Komfort – Quickshifter, MSC und Cruise Control
Wer einmal mit Quickshifter gefahren ist, will nie mehr darauf verzichten. Ohne das Gas abzudrehen und ohne zu kuppeln rauf- und runter zu schalten macht unheimlich viel Spaß. Und schont die Kupplungshand auf langen Etappen. Wenn der Shifter so geschmeidig und ruckfrei wie bei der 790er funktioniert, erst recht. Wichtig zu wissen, dass der Quickshifter auch im (langsamen) Stadtverkehr oder beim Cruisen gut funktioniert. Dabei muss der Schaltvorgang langsam durchgeführt werden. Will man schnell und knackig schalten wie Überland hackelt es. Je härter man beschleunigt umso schneller sollte man schalten.
Ein weiteres lohnenswertes Elektronikfeature ist der Tempomat. Immer wieder hat man auf der Tour Autobahnetappen und lange Geraden. Oder eine lange Geschwindigkeitsbeschränkung. Cruise Control rein und Gashand (und Geldbörse) entlasten.
Beide Add Ons kann ich sehr empfehlen. Kosten leider extra, aber immerhin bietet die 790er diese Option, das können nicht alle Mittelklasseadventurebikes von sich behaupten.
Performanceorientierte Elektronik – Der Rallymode
Mit dem nur auf der 790 „R“ serienmäßigen „Rallymode“ spricht KTM den performanceorientierten Fahrer an. Hier wird es etwas komplexer: Zuallererst ist beim Rallymode die Wheeliecontrol deaktiviert. Wichtig, denn man will ja das Vorderrad über Hindernisse lupfen oder einfach nur wheelen. Hat man kein Rallypack freigeschaltet, geht das nur durch Ausschalten der Traktionskontrolle. (MTC Aus) Das heißt Wheelies + Traktionskontrolle geht nur im Rallymode. Dafür kann man hier die Traktionskontrolle in 9 Stufen während der Fahrt einstellen. Von sehr wenig Eingriff 1 bis viel Eingriff 9. Zum ganz Wegschalten (etwa im Tiefsand) muss man allerdings ins Settingsmenü. (MTC Aus)
Dann lässt sich im Rallymode die Gasannahme („Throttle“) mit „Offroad“, „Street“ und „Rally“ einstellen. Und damit quasi die Charakteristik des Motorrads verändern. Im Throttlemodus „Rally“ ist die Gasannahme extrem direkt, das Motorrad reagiert sehr spontan auf Gasgriffbewegungen. Super, wenn es sehr griffig ist oder wenn man das Vorderrad schnell anheben möchte. Allerdings sollte der Boden dabei schon griffig sein. Normal schnelle, aber nicht extreme Gasannahme bietet der Throttlemode „Street“. Wenn es rutschig wird, wählt man „Offroad“. Mit der gewählten Throttle Einstellung ist die Gasannahme damit ident wie bei den Fahrmodi „Street“ und „ Offroad“. Allerdings ohne Wheeliecontrol und mit einstellbarer Traktionskontrolle.
Der Rallymode ist recht komplex. Man sollte sich schon damit auseinandersetzen und verschiedene Einstellungen ausprobieren. Allerdings bekommt man Wheelen mit einstellbarer Traktionskontrolle und eine richtig aggressive Charakteristik on top. Ein typischer KTM – „ready to race“ Mode.
Die Elektronik In der Praxis – Meine Einstellungen
Für mich persönlich sind die Assistenzsysteme auf der 790R ein Gewinn. Neben Sicherheit und Komfort schätze ich den Rallymode sehr und verwende ihn auch intensiv. Wenn ich Straßentouren fahre, bleibe ich im normalen „Streetmode“ mit Street ABS. Fahre ich Offroad, oder wechselnd On-Offroad, wähle ich den „Rallymode“. Hier ist dann die Wheeliecontrol deaktiviert. Die Gasannahme (Throttle) fahre ich meist auf „Street“, hin und wieder auf „Rally“, der aggressivsten Einstellung. ABS lasse ich dann auf offroad, auch wenn längere Straßenstücke dabei sind.
Nicht zufrieden war ich mit der einstellbaren Traktionskontrolle. Zu wenig war der Unterschied in den einzelnen Stufen für mich spürbar. Auch bei Stufe 9 hat das Hinterrad auf Schotter durchgedreht und auch bei Tests auf rutschigem Untergrund konnte ich (zu) wenig Unterschied feststellen. Im Gegensatz zu anderen Meinungen in diversen Foren hatte ich eher zu wenig als zu viel Eingriff!?
Die Fahrmodi „Rain“ und „Offroad“ sind meiner Meinung nach ideal für Einsteiger. Bei beiden Modi ist die Gasannahme sehr sanft und geschmeidig. Erfahrene Piloten werden sie kaum nutzen.
Letzte Einstellungen bleiben erhalten
Schaltet man die Zündung aus, belieben die letzten Einstellungen erhalten. Auch wenn man den Schlüssel abzieht. Top! Das ist nur bei wenigen Adventurebikemotorrädern so geregelt. Nach jedem Starten wieder ins Menü und Modi aktivieren, ABS deaktivieren, wie man es bei vielen anderen Motorrädern kennt, bleibt bei der 790er KTM aus.
Zwei in Eins
Die Elektronikeinstellungen machen es möglich, das selbe Motorrad vom Motor her einsteiger- wie profitauglich einzustellen. So kann die Performance mit dem Fahrlevel mitwachsen. Aber auch der fortgeschrittene Fahrer kann über die Gasgriffannahmeeinstellung im „Rallymode“ die Charakteristik des Motors auf Knopfdruck von Touring auf Racing ändern. So hat man im Grunde zwei Motorräder in einem. Genial!
Fazit
Die KTM Adventure 790R hat ein sehr umfangreiches Elektronikpaket mitbekommen. Sicherheitsfeatures wie ABS und MTC, Komfortfeatures wie Quickshifter, MSC und Cruisecontrol und den voll konfigurierbaren Rallymode für performanceorientierte Adventurebiker. Sicher muss das alles nicht sein. Will man allerdings den großen Spagat, den moderne Adventurebikes zu leisten im Stande sind voll auskosten, kommt man an einer umfangreichen Elektronik nur schwer vorbei. Nur so kann die hohe Leistung bei allen Einsatzbedingungen und auf allen Fahrlevels sicher, sinnvoll und effizient eingesetzt werden. Mir gefällt das!
Hi. Another great and sensible review.
Can I ask though (sorry I think it got lost a little in translation) what you mean for traction control in the off road?
On slippery mud for example what level of traction do you have 1-9? and what are the differences
thanks and keep up the great work
Thanks for your feedback! You can set the traction control in rally mode from 1 (almost off) to 9 (very much intervention) at the push of a button. If the mud is slippery as ice, I would go with 9. But when the mud is deep and you need power with little intervention (1-3). I hope this helps you! Best regards Michael
The next one – super Bericht, wieder mit dem Hintergrund vieler Kilometer auf diesem Bike, techn. Wissen, Fahrkönnen, Vergleich zu div. anderen Herstellern, Erfahrung usw.! Da kann ich nicht anders und muß mein Kommentar abgeben
Ich glaube dieses Thema der „Helferlein“ könnte Bände, Stammtischabende und never ending Diskussionen füllen. Auch basierend auf der Tatsache dass fast niemand seine Eindrücke bzw. Bewertung aufgrund eines gesamtheitlichen Wissens bzw. rein objektiv und neutral abgeben wird können. Viel zu sehr spielen in der eigenen Bewertung solcher Systeme persönliche Präferenzen, eigenes Fahrkönnen usw. eine zu große Rolle. In weiterer Folge aufgrund der inzwischen schon sehr hohen Komplexität dieser, auch das mangelnde technische Verständnis vieler Biker – woher auch, im Zeitalter von Plug n‘ Play – raufsetzen und fahren. Weiters nimmt ja auch ein intensives Testen aller verbauten Systeme auf verschiedenen Untergründen, unter verschiedenen Verhältnissen sehr viel Zeit und Aufwand in Anspruch. Nach dem Motto: jetzt habe ich mal einen Tag frei, jetzt wird gefahren und nicht im Menü rauf und runter geschalten.
Die Entwicklung der gesamten Elektronik ist sicher auch ein logischer Schritt der hohen Leistungszahlen der Motorräder heutzutage: KTM 1290 Adventure R mit 160 PS!? Aber leider blicken viele Käufer auf die reinen Zahlen beim Kauf der Motorräder, und da steht die PS-Zahl an oberster Stelle – egal ob man’s braucht und fahren kann oder nicht. Und der Hersteller muß es dann eben elektronisch wieder runterreglen um es für jeden fahrbar zu machen. Hier muß ich sagen dass KTM einen super Job macht. Bin jetzt seit ca. 15 Jahren auf KTM unterwegs, verglichen zu den Helferlein von damals, ist das heute schon ganz großes Kino – top!
Deshalb finde ich deine Ausführung über die Systeme super erklärt und auf den Punkt gebracht, sowohl für „Anfänger“ als auch für Leute die sich intensiv mit diesen auseinandersetzen!
„Machen mich diese Systeme schneller“ ist eine Standardfrage von vielen die meiner Meinung nach so nicht beantwortet werden kann. Ich trenne diese Systeme für mich in grundsätzlich 3 Kategorien: a) Sicherheitssystem (wie der Name schon sagt zu meiner eigenen Sicherheit in Grenzsituation, macht mich aber nicht schneller); b) Komfortsysteme (zB Tempomat – macht mich auch nicht schneller; c) „Racing-Systeme“ (die machen mich schneller, zB Quickshifter, MSR,…). Also ähnlich zu deinen Ausführungen oben.
Ich glaube auch dass aufgrund der heute schon sehr hoch motorisierten Bikes all diese Systeme im Zusammenspiel das Fahren auf jeden Fall viel sicherer, angenehmer und mitunter auch schneller macht. Fährt man mit einem Bike von vor 30 Jahren und einem von heute ein und dieselbe Strecke, wird der Vollgasanteil beim älteren Bike mit Sicherheit wesentlich höher sein. Sprich, die Spitzenleistung der heutigen Bikes ist nur in einem ganz kleinen Teil der Fahrtstrecke notwendig und auch nutzbar, den Rest macht die Elektronik wenn die rechte Hand mal zu nervös ans Werk geht.
Ich bin noch, und ich möchte es nicht missen, in einem Zeitalter der Vergaser/no Elektronik Bikes groß geworden. In Gesprächen mit jungen Fahrern stellt sich halt ab und zu die Frage (und das wird ihnen in den Fahrschulen auch so gelernt), in wieweit tragen diese System wirklich der Sicherheit bei wenn mit der Einstellung gefahren wird „die Elektronik bewahrt mich ja sowieso vor jeglichem Abflug…..).
So, vielleicht bin ich jetzt doch etwas zuweit in die generelle Diskussion um Elektronik abgeschweift
Ich kann mich jedoch deinem Fazit auch nur anschliessen: ich liebe die vielen Möglichkeiten an Einstellungen an meiner KTM, auch wenn sich vielleicht schon einige Wanderer gedacht haben: was macht der da, fährt die 300 Meter Strecke immer hin und her in der Schottergrube – da war ich sicher gerade wieder am Testen was für mich besser passt in den Einstellungen. Persönlich bin ich mit den Systemen sehr zufrieden, auch dass ich sie auf meinen Fortschritt oder auch Tagesverfassung wirksam und merklich anpassen kann. Fazit: wenn die rechte und linke Hand und der Popometer nicht richtig kalibriert sind, wirds nix… Mein Tip an alle wer’s nicht schon macht: alles ausprobieren, testen, rauf und runter, rechts und links – macht Spass und unterstützt richtig eingestellt enorm beim eigenen Fahren. Was für den einen passt muß für den anderen nicht zutreffen….
Soweit mein persönlicher Input zu der sehr informativen Ausführung von dir Michael zur weiteren Diskussion
Stay safe – keep riding!
Danke für Dein ausführliches und kompetentes Kommentar Stef! ?