Nach meinem ernüchternden – Spezialized Levo SL Gen2 im JentlFlow Test – im Frühjahr wollte ich dem SL eine zweite Chance geben. Damals war der Akku doch schneller leer als erhofft, steile Climbs waren, wenn überhaupt, nur sehr mühevoll möglich und bergab war streckenbedingt das Fahrwerk, und vor allen die originalen Reifen am Limit.
Light E-Bike Konzept mit Schwächen?
Die Idee, E-Bikes leichter zu machen, ist natürlich super. Besseres Handling, größere Agilität, leichteres Fahrgefühl nahe am Biobike. Wer will das nicht? Aktuelle Light E-Bikes sind mit ca. 18 kg (Trail-High End) um die 4 kg leichter als Full Power E-Bikes und damit nur mehr 3-4 kg schwerer als Bio Trail Bikes.
Wie speckt man nun vier Kilo ab?
Zuerst mal beim Antriebssystem. Leichte Motoren sind bis zu einem Kilo leichter (so bei Spezialized Levo SL vs Levo 1,9 kg vs 2,9 kg), aber auch deutlich schwächer (50 Nm statt 90 Nm). Beim Akku ist am meisten Gewicht drin, satte 1,4 kg ( 1,8 kg vs. 3,2 kg) , wobei auch die Kapazität (320Wh statt 700Wh) deutlich geringer ist. Beim Rahmen setzen Light E-Bikes fast ausschließlich auf fest integrierte Akkus. So wird Gewicht gespart und Steifigkeit gewonnen. Die meisten Hersteller legen ihr Light E-Bike als „leichten Allrounder“ aus und legen keinen Fokus auf Enduro Fähigkeiten. So werden dann leichtere Federungs Systeme, Laufräder und Reifen verbaut. Was durchaus auch Sinn machen kann, wenn der Fahrer leicht ist und keine harten Downhills fährt. Damit sind weitere 1,5 kg und in Summe um die 4 kg eingespart.
Schon in der Theorie ist für mich als 85 kg schweren, trail/abfahrtsorientierten Biker, der auch gerne steile technische Uphills, gerne im Schnee und vor allen regelmäßig über 1.500 Hm fährt klar, dass dieses Konzept nicht aufgehen kann. Zu wenig Motorbums, zu wenig Reichweite/höhe und zu wenig downhilltaugliche Komponenten. Dennoch wollte ich wissen, wie sich generell ein leichteres E-Bike anfühlt, denn mein Ideal wäre natürlich die Kombination aus beiden Welten ohne Kompromisse.
Das Testrad – Spezialized Turbo SL Comp
Das 2024er Spezialized Turbo SL Comp Testrad vom RoFa-Sport ist der SL Einstieg mit Carbon Rahmen und wird aktuell für sehr attraktive 5.500,- (statt 7.900,-) angeboten. Das 25er Modell hat dafür den neuen Genie Dämpfer, Funk Schaltung und die kräftige Maven Bremse dabei. Es ist dann mit 19,1 kg ein halbes Kilo schwerer als das Auslaufmodell, das mit 18,6 kg angegeben wird. (Werte S4 ohne Pedale) In beiden Fällen ist die Ausstattung durchaus praxistauglich. Wer es bergab schneller angeht, benötigt zumindest hinten einen stabileren Reifen. Die Fox 36er Rhythm Gabel funktioniert an sich nicht schlecht, vermittelt aber nicht das Kontrollgefühl wie mit eine Fox Gabel der Performance Elite oder Factory Serie. Die Sram Code Bremsen fangen zu quietschen an, wenn sie heiß werden und der Druckpunkt wandert. Nicht umsonst ist am 25er Modell die standfestere Maven verbaut.
Jentlflow Testrad Setup
Bei meiner Testfahrt im Frühjahr hatte ich hinten einen Durchschlag mit dünnen GRID Karkasse der Spezialized Serienreifen. (Trotz relativ hohen Luftdrucks) Diesmal habe ich gleich die neuen – Schwalbe Mountainbike Radialreifen – the next big thing? – aufgezogen. Damit keine Durchschlagsgefahr, dafür super Grip und Komfort. Sobald es ruppiger wird ist damit das Fahrverhalten schlagartig besser.
Dann habe ich wie beim ersten Test den Range Extender (Zusatzakku für den Flaschenhalter) mit zusätzlichen 160 Wh gleich fix montiert, sonst komme ich keine 1.000 Hm weit. Lenker, Hebel, Sattel, Fahrwerk eingestellt und los geht‘s .
Die Testfahrten
Diesmal war die Streckenwahl besser auf das SL Konzept zugeschnitten und ich war vorgewarnt, was Reichweite/höhe betrifft. Ich bin diesmal meist mit „Trail“, eingestellt auf 65% Unterstützung (auch 65% Spitzenleistung bei voller Eigenleistung) gefahren, um mehr Höhenmeter zu schaffen, was auch gut funktioniert hat. Alternativ geht 50% Unterstützung und 100% Spitzenleistung auch recht gut. Da verbraucht man im Flacheren etwas weniger, dafür bekommt man mehr Leistung wenn es steiler wird und man selber härter tritt. In beiden Fällen schaffe ich so maximal 1.400 Hm, bei 30 km. Auch mit 50 bzw. 65% unterstützt der Antrieb ausreichend und man hat ein gutes Rollgefühl. Wenn es richtig steil wird, helfen dann aber auch die 100% Turbo nicht viel, da fehlt es dem kleinen Motor an Drehmoment. Das geht dann halt auf die Oberschenkel, wie in der alten Biobike Zeit. Leider beginnt der Motor schon sehr früh die Motorleistung zu reduzieren, um mehr Reichweite zu generieren. Bei 20% Rest Akku regelt er dann richtig runter, bei 15% nochmal und bei 5% geht er dann aus. Damit wird das Ende der Tour immer recht mühsam, ganz anders als beim Full Power Turbo Levo, wo man sehr lange richtig Leistung hat.
Wird es bergauf technisch fehlt, abgesehen von der Motorleistung, der „Nachlauf“, der über Schlüsselstellen helfen kann, ohne mit den Pedalen aufzusetzten. So bin ich mit dem SL doch einige Male öfter hängen geblieben und war im anaeroben Bereich unterwegs. Schwierige Passagen mit dem 2.Gang mit Schwung fahren das spielt es nicht. Das SL fährt sich auch bergauf eher wie ein Biobike, also wird wieder mit dem ersten Gang geklettert. Das schränkt allerdings die Streckenwahl ein, wenn man vom Full Power E-Bike kommt. Und man braucht länger. Aber das war ja so zu erwarten.
Bergab hatte ich diesmal mit dem SL mehr Freude als beim Frühjahrstest. Da sind einmal die Reifen. Die Schwalbe Radial Reifen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Abfahrtseigenschaften. Komfort und Grip sind auf einem anderen Level. Erst Recht, wenn man von einem dünnen Casting mit viel Luftdruck kommt. Daher konnte ich diesmal auch auf den schnellen, ruppigen Passagen schön draufhalten und hatte richtig Spaß.
Wo das SL aber seine Vorteile ausspielt, ist wenn es langsamer, verwinkelt und technisch wird. Diesmal bin ich ein langes technischen Stück gefahren und war schwer begeistert. Zum einen ist es einmal die Geometrie, die mir extrem zusagt. Im Grunde sind die Werte nahezu ident mit meinem Turbo Levo Gen3. Bis auf die Kettenstrebenlänge, die ist nämlich 1,5cm kürzer. Damit geht das SL leichter um enge Kurven, aber es lässt sich vor allen vorne leichter anheben. Zusammen mit dem geringeren Gewicht fällt das Versetzten und Ausrichten des Bikes um einiges leichter. Geht es dann steil bergab, schiebt das leichtere Bike auch weniger und lässt sich leichter kontrollieren. Wirklich top! Aktuell geht der Trend zwar (wieder) zu längeren Kettenstreben, mir persönlich können sie nicht kurz genug sein. Längere Kettenstreben positionieren den Fahrer zentraler im Bike und haben natürlich bergauf Vorteile, das Vorderrad steigt später.
Fahrten ohne Range Extender
Der 160 Wh Zusatzakku wiegt doch ein sattes Kilo, da wollte ich auch wissen, wie sich das SL ohne fährt. Dazu habe ich einige Runden so gewählt, dass ich den Akku unterwegs deponieren konnte. Und – ja – das geringerer Gewicht war sofort spürbar. Bergauf, aber vor allen bergab fühlt sich das SL gleich noch agiler und leichtfüßiger an. Dabei fahre ich hier (ohne Extender) mit gewogenen 20 kg, also weit entfernt von den 18 kg, die High End Light E-Bikes wiegen. Da ginge also noch einiges mehr. Ich denke auch, dass sich ein 18 kg Light E-Bike mit weniger Unterstützung fahren lässt und so auch mehr Reichweite/höhe drinnen ist.
Fazit
Der zweite ausführliche Spezialized Levo SL Test endet versöhnlich und mit einigen interessanten Erkentnissen. Fakt ist das ein leichteres (E-) Bike das bessere Bike ist. Auch wenn mein Test SL mit (1 kg) Range Extender und DH Reifen bestückt 21 kg schwer war, sind das doch 2,5 kg weniger als bei meinem Full Power Turbo Levo. Und das ist deutlich spürbar. Ebenso wie die kurzen Kettenstreben am SL, da hatte ich schon vergessen, wie mir das taugt. Eine hohe Reichweite/höhe ist für mich Pflicht. Mit dem SL musste ich jede Tour früher abbrechen, weil der Akkustand zu Ende ging, mehr als 1.400 Hm waren nicht drinnen. So ist der kleine Akku bzw. die geringe Reichweite für mich ein Dealbreaker. Ein „Long Range“ SL mit integrierter 500 Wh Batterie wäre gefragt. Mit der Motorleistung des SL’s könnte ich leben, wenn das der Preis für das geringe Gewicht ist, auch wenn das den Verzicht auf steile Uphillchallenges bedeutet.
Aktuell bietet der Markt Full Power E- Bikes mit hoher Motorleistung, hoher Reichweite aber auch hohem Gewicht (+23kg) und Light E-Bikes mit niedrigem Gewicht, dafür aber geringe Leistung und geringer Reichweite (unter 20kg). Eine neue Kategorie, die volle Leistung bei geringem Gewicht bietet sind „Full Power Light E-Bikes“. Hier wird ein leichter, kompakter, aber starker Motor in einem Rahmen mit integriertem Akku verbaut. Dieser hat dann meist um die 600Wh, was mehr Reichweite als beim Light E-Bike ermöglicht. Um die 20 kg sind so möglich. Typische Vertreter sind das Orbea Rise und das Candondale Moterra SL . Legt man hier noch 200Wh Reichweite drauf, bleibt man immer noch unter 21kg, allerdings bei voller Leistung und Reichweite, wie es das kürzlich vorgestelltem Amflow PL mit dem revolutionären Avinox Motor System bietet. Da wäre ich dann dabei! Ich bin gespannt was uns Spezialized und RoFa Sport in diesem Segment die nächsten Jahre zeigen werden.
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