In meiner über 30-jährigen Mountainbikekarriere bin ich viele Reifen gefahren, aber keine haben mich vom Fleck weg so überzeugt wie die neuen „Radial“ Reifen von Schwalbe.
Wie die Entwicklung des Mountainbikes selbst haben sich auch die Reifen stark weiterentwickelt. Mit der Segmentierung und Spezialisierung in Kategorien wie Cross Country, Down Country, Trail, All Mountain, Enduro bis Downhill haben sich auch die Reifen spezialisiert. Doch sie unterscheiden sich nicht einfach durch Robustheit und Profilgestaltung, die Differenzierung ist vielschichtiger. Jedes Modell wird heute in unterschiedliche Karkassenkonstruktionen und Gummimischungen angeboten. Hier sind es dann zumindest jeweils je drei Optionen. Also ziemlich unübersichtlich? Ja, schon, wobei im Grunde ist die Auswahl dann doch nicht so schwer, denn Bike, Fahrstil und Gelände geben meist eine klare Richtung vor.
Reifenprofil – sorgt auch optisch für Grip
Zuerst steht immer die Auswahl des Profils, und damit auch die der Reifenmarke. Wobei je gröber, umso besser bei tiefem Boden, aber auch umso mehr Verschleiß und mehr Rollwiderstand.
Für mich als Trail orientierter E-Biker fiel meine Wahl in den letzten Jahren auf den Schwalbe Magic Mary mit seinem vom Motocrossreifen inspirierten Profil. Im Winter vorne wie hinten, im Sommer hinten Schwalbe Big Betty, denn der harte Boden setzt der Marry doch recht zu. – Spezialized Turbo Levo Comp – Tuning –
Karkasse – für Stabiltät und Durchschlagsschutz
Hier bieten die Hersteller inzwischen zumindest drei Karkassenhärten an. Die Karkasse bildet das Grundgerüst des Reifens und sorgt über die Anzahl der Lagen für Robustheit, aber auch Gewicht. Damit bestimmt sie auch den möglichen Luftdruck. Je stabiler die Karkasse, umso niedriger kann dieser sein. Das sorgt dann für mehr Traktion und Komfort. Allerdings auch für mehr Gewicht und höheren Rollwiderstand.
Beim Schwalbe Magic Marry gibt es vier Optionen: Super Downhill, Super Gravity, Super Trail und Super Ground. Bei meinem Spezialized Turbo Levo wählte ich hinten Super Gravity und vorne Super Trail. Das sorgt hinten für Durchschlagssicherheit, der etwas leichtere Vorderreifen für Agilität. Vorne fahre ich sowieso mit etwas höherem Luftdruck, damit der Reifen in Kurven besser auf der Felge steht.
Gummimischung – Grip versus Verschleiß
Je weicher, umso mehr Grip, aber auch umso mehr Verschleiß und höherer Rollwiderstand. Der Magic Marry wird in Soft und Supersoft angeboten. Viele fahren vorne den Supersoft, hinten den Soft. Bisher bin ich am Turbo Levo vorn und hinten Soft gefahren. Schon der Soft zeigt vorn am Übergang zu den Seitenstollen relativ schnell Verschleiß; beim Supersoft wird das wohl noch schneller gehen…?
Luftdruck – wichtiger Faktor
Entscheidend für die Fahreigenschaften und Performance eines Reifens ist der Luftdruck. Wenn sich der Reifen an den Untergrund schmiegen kann, greift er besser und bietet mehr Komfort. Zu niedriger Druck bedeutet aber Durchschlagsgefahr, schlechtere Rolleigenschaften und speziell am Vorderrad ein unsicheres Gefühl in Kurven durch plötzliches Wegknicken. Je schneller und härter man fährt, desto mehr Luftdruck wird benötigt, was aber zu Lasten von Komfort und Grip geht. Eine stabilere Karkasse ermöglicht weniger Luftdruck und ist daher die bessere Wahl für schnelle Piloten und/oder schwere E-Bikes.
Für meine Magic Marry bereiftes Turbo Levo habe ich den perfekten Luftdruck gefunden. Hinten genau an der Grenze zum Durchschlagen und vorne an der Burping (Seitliche Verformung des Reifens) Grenze. Dennoch gäbe es bei Grip und Komfort Luft nach oben. Und hier kommt Schwalbes neue Karkassenkonstuktion ins Spiel.
Die neue Schwalbe Radial Karkasse – die eierlegende Wollmilchsau?
Bei der neuen Radialbauweise werden die Fäden nicht mehr diagonal (45°), wie sonst im MTB-Bereich üblich, sonder radial angeordnet. Zwar nicht rechtwinkelig wie bei PKW Reifen, aber doch deutlich „stumpfer“ als bisher. Das bewirkt, dass sich der Reifen punktuell deutlich stärker verformt. Laut Schwalbe bringt das 30 % mehr Auflage beim gleichen Luftdruck! Das bewirkt natürlich mehr Grip und Komfort.
Ich habe mir im Spätsommer gleich die ersten lieferbaren Reifen bestellt, den Schwalbe Radial Albert in der Gravity Ausführung, Gummimischung Soft, 29×2,60 vorne, 27,5×2,6 hinten.Die Radial Gravity Karkasse fühlt sich geschmeidiger an als die gewohnte Super Gravity. Montiert mit meinem sonst üblichen Reifendruck fühlt sich der Albert bei punktuellen Druck extrem weich an. Auch wenn die Karkasse als solches recht stabil steht. Angeblich ist auch der Durchschlagschutz beim Radialreifen bei gleichem Luftdruck etwas schlechter. Für mich war sofort klar, dass man den Radial Reifen mit mehr Luft fahren muss. Nach einigen Testläufen fahre ich jetzt mit 0,3 Bar mehr als bei meinem Magic Mary mit Super Gravity Karkasse. (Sogar bei 50% höherem Luftdruck ist laut Schwalbe 15% mehr Auflagefläche gegeben) Damit steht der Reifen super stabil auf der Felge, schlägt nicht durch, hat aber deutlich spürbar mehr Grip und Komfort. Bergauf wie bergab geht mit der Radial Karkasse einfach mehr. Bei technischen Auffahrten verzahnt sich der Reifen besser mit dem Untergrund und man kommt einfach weiter. Im Downhill ist man dann sicherer unterwegs. Beziehungsweise auch schneller, wenn man das will.
Der größte Benefit ist für mich aber der höhere Komfort. Es is unglaublich, wie der Radial Reifen kleine Unebenheiten wegfiltert. Als wäre das Fahrwerk frisch serviert und im ersten Drittel softer abgestimmt. Dadurch fällt es leichter den Lenker locker zu halten. Die Fahrt wird entspannnter und man spart Kraft. Außerdem kann man das Fahrwerk straffer abstimmen, wenn man das möchte. Ich fahre die Gabel immer mit etwas mehr Luftdruck, um ein Durchtauchen im mittleren Federweg zu verhindern. Dadurch verliere ich Ansprechverhalten im ersten Drittel. Und genau das bekomme ich jetzt durch den Radial Reifen zurück.
Mit den 0,3 Bar mehr Luftdruck ist der Rollwiderstand gefühlt gleich wie bei meiner herkömmlichen Magic Marry Kombi. Für’s E-Bike ist das aber so oder so nicht das große Thema. Da überwiegen die Vorteile.
Winterbereifung Magic Marry/Shredda Radial
Vom Profil her ist der Albert ein guter Allrounder. Für den Winter, wenn der Boden tiefer ist und bei Schnee wäre ein offeneres Profil besser. Inzwischen gibt es ja auch den Magic Marry in der Radialversion. Ganz neu für richtig tiefen Boden ist der Schwalbe Schredda Radial. Hier sind die Stollen noch weiter auseinander und höher als beim Magic Marry. Beim Schredda Rear um 2 mm weiter auseinander und um 1mm höher, beim Front noch mal deutlich mehr. Ich werde den Shredda Rear als Vorderreifen verwenden und hinten den Schwalbe Magic Marry Radial. Damit habe ich vorne ein etwas radikaleres Profil. Mal schauen wie das funktioniert. Von der Gummimischung her habe ich den Shredda Rear in Supersoft, den Magic Marry in Soft bestellt. Das wird also auch mein erster Test mit einem Supersoft Reifen vorne. Dazu sind beide Modelle nur in 2,5“ Breite verfügbar, also etwas schmäler als die 2,6“ Alberts. Schwalbe Reifen bauen generell nicht sehr breit, da ist auch der 2,6er präzise zu fahren. Und die Breite hat eigentlich gut zum schweren E-Bike gepasst. Mal schauen, wie mir die etwas schmäleren 2,5“ taugen.
Fazit
Reifen- Grip und Komfort ohne Durchschlagsgefahr und Burping? Ja das geht! Die Schwalbe Radial Reifentechnologie ist ein echter Gamechanger. Erkennbar daran, dass es keinen Weg mehr zurück gibt. Wer einmal die Vorteile gespürt hat, will keine Diagonalreifen mehr fahren. Genau wie einst bei den ersten Federgabeln, Full Suspension, Scheibenbremsen oder Teleskopsattelstützen. Eigentlich unlaublich, warum man erst jetzt auf die Idee gekommen ist die Karkasse „radialer“ zu bauen. Das Ergebnis ist wirklich sensationell. Grip, Komfort und Sicherheit sind auf einem neuen Level. Ich bin mir sicher, dass andere Marken nachziehen werden und wir in ein paar Jahren im Mountainbike Performance Segment nur mehr radial fahren werden. Also unbedingt ausprobieren, ein so spürbares Tuning für verhältnismäßig wenig Geld gibt’s nur selten!
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